Wenn du gegen deine Überzeugung argumentieren musst, erkennst du den Sinn der Debatte: auch die Gegenseite durchdenken und dadurch mehr Perspektiven entdecken. Mit der Zeit kam ich zur Erkenntnis, dass nichts auf der Welt immer nur richtig oder falsch ist und dass nichts nur gut oder nur schlecht ist. Ich glaube, das ist genau der Grund, warum ich die Debatte so faszinierend finde. Unsere Gedanken, unsere Werte und Weltanschauungen sind von unseren Erlebnissen und Erfahrungen geprägt, welche bei der Debatte zerstört und wieder neu aufgebaut werden. Es ist immer ein Abenteuer, wenn du debattierst.

Meine Erfahrungen, auf Deutsch zu debattieren, sind auf mein Bachelorstudium an der SISU zurückzuführen. Im vorletzten Semester erfuhr ich, dass ein Debattierwettbewerb für chinesische Germanistik-Studenten organisiert wurde. Vorher habe ich nie auf Deutsch debattiert bzw. daran gedacht, auf Deutsch zu debattieren. Nachdem ich ausgewählt worden war, trainierte ich, Redemittel auf Deutsch zu üben und meine Argumente auf Deutsch darzulegen. Ich kann mich heute noch erinnern, dass meine Stimme zitterte, als ich auf der Bühne stand und meine Argumente erläuterte. Ich war so nervös, dass ich gar nicht kontrollieren konnte, was ich sagte. Ich warf keinen Blick auf die Zuschauer, weil es mich nur noch mehr gestresst hätte. Ich schaute nur auf die gegnerischen Redner. In diesem Wettbewerb gewann ich mit meinem Partner den dritten Preis, und es machte mir großen Spaß. 

Nachdem ich im Jahr 2017 nach Deutschland gekommen war und erfahren hatte, dass es an der Universität Jena einen Debattierclub gibt, habe ich mich gleich angemeldet. Jede Woche mittwochs war ich bei der DaF-Debatte - mit Studierenden aus China, Russland, Irland, Peru, Ägypten, der Ukraine und vielen anderen Ländern. Es war auch die Zeit, als ich richtig angefangen habe zu verstehen, wie man systematisch seine Argumente aufbaut und eine Teamstrategie entwickelt. Je länger ich mitmache und debattiere, desto öfter habe ich das Gefühl: Bei der Debatte geht es nicht nur ums Gewinnen, sondern vielmehr darum, dass deine Ideen und Gedanken aktualisiert werden. Debatten behandeln vielfältige Themen: Politik, Philosophie, Moralität, Wirtschaft, Soziologie… Man muss ein gutes Allgemeinwissen haben, um überhaupt darüber diskutieren zu können. 

Das Jahr 2021 ist nicht das erst Mal für mich, an der DDM (Deutsche Debattiermeisterschaft) teilzunehmen, aber es war erstmals online. Wegen der Pandemie mussten wir leider auf die Debatten in Präsenz verzichten. Die Apps GatherTown, Discord und Zoom haben allerdings sehr geholfen, den Teilnehmenden ein Präsenzgefühl zu geben. Die Themen waren vielfältig. Ein Thema lautete beispielsweise „Sollte die Menschheit auf der Welt ausgelöscht werden“? Als Schlussrednerin musste ich immer am Ende abwägen, wieso und warum unser Team besser als das gegnerische Team ist. Deswegen musste ich die ganze Zeit zuhören, aufschreiben und meine Schlussrede strukturieren. Und dieses Mal habe ich meinen Traum vom Jahr 2017 erfüllt: Mit meinen Teampartnern Jun Wang (Philosophie) und Roman Wanusch (Bioinformatik) haben wir das Finale der 20. Deutschen Debattiermeisterschaft in der Kategorie „Deutsch als Fremdsprache“ gewonnen. 

Seit März arbeite ich bei der BARMER, einer der größten gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland als Sales Consultant für den China-Markt. Zuhören und Kommunizieren gehören zu den wichtigsten Kompetenzen dieser Arbeit, genau das wird bei der Debatte immer geübt. Dank der Debatten bin ich jetzt mutiger, mich zu äußern und meine Ideen zu formulieren. 

Ich freue mich sehr, wenn du jetzt auch Interesse am Debattieren hast, und zwar auf Deutsch!

(Die Verfasserin schloss 2017 erfolgreich das Bachelorstudium an der Germanistischen Fakultät der SISU ab und absolvierte 2020 erfolgreich das Masterstudium in Auslandsgermanistik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.)