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Michael Kahn-Ackermann: Direkte und vorurteilsfreie Begegnung mit der fremden Kultur


04 June 2017 | By SISU Deutsch | SISU

Am 24. Mai wurde im Staatsgästehaus Diaoyutai in feierlicher Atmosphäre die Auftaktveranstaltung des hochrangigen deutsch-chinesischen Dialogs für den gesellschaftlich-kulturellen Austausch eröffnet. Über 200 Vertreter beider Seiten aus verschiedenen Gebieten nahmen daran teil. Michael Kahn-Ackermann, der ehemalige Leiter des Goethe-Instituts in Peking berichtete als erster auf der Veranstaltung „45 Jahre deutsch-chinesischer Studierendenaustausch“ von seinen Erfahrungen des akademischen und interkulturellen Austauschs.

Seine vielfältigen Erlebnisse waren und sind sehr eng mit China verbunden. Nicht nur weil er mit einer Chinesin verheiratet ist, sondern auch, weil sein Sinologiestudium, seine langjährige Arbeitserfahrung in China, seine Forschungs- und Übersetzungstätigkeiten im Bereich der chinesischen Sprache und Literatur und der Erhalt einer chinesischen Greencard ihn fast zu einem deutschstämmigen Chinesen gemacht haben, der im chinesischen Germanistenkreis und im internationalen Sinologenkreis einen sehr guten Ruf genießt.

Im September 1975 ist Michael Kahn-Ackermann, geboren 1946 in Bayern, als Mitglied der zweiten Gruppe westdeutscher Austauschstudenten (damals hießen sie „ausländische Arbeiter-, Bauern- und Soldaten-Studenten“) nach China gekommen. Nach Ankunft lernte er ein Jahr Chinesisch am Pekinger Fremdspracheninstitut, anschließend von September 1976 bis Juli 1977 Neuere Chinesische Geschichte an der Peking-Universität. Zuvor hatte er in Deutschland sein Magister-Studium der Sinologie abgeschlossen.

1981 hat er mit der Arbeit am Goethe-Institut angefangen. Von 1988 bis 1994 leitete er als Gründungsdirektor den Aufbau des Goethe-Instituts Peking, der ersten ausländischen Kultureinrichtung in der VR China. Nach Aufenthalten als Regionaldirektor des Goethe-Instituts in Moskau und in Rom ist er 2006 als Regionalleiter China des Goethe-Instituts nach Peking zurückgekehrt. Viele chinesische Germanisten und Deutschlehrkräfte wurden damals vom Goethe-Institut unter seiner Leitung unterstützt, indem sie an Lehrerfortbildungen in China und in Deutschland teilgenommen haben und dabei die spezielle deutsche Fremdsprachendidaktik und –Methodik kennengelernt und kritisch rezipiert haben. 

Herr Kahn-Ackermann hat sich nicht nur für die Verbreitung der deutschen Sprache und Kultur in China eingesetzt, er leistet heute als Senior-Berater der Zentrale des Konfuzius-Instituts auch einen großen Beitrag zur Verbreitung der chinesischen Sprache und Kultur im Ausland. Er arbeitet außerdem als Publizist, als Ausstellungs-Kurator und als Übersetzer chinesischer Gegenwarts-Literatur. Zu seinen Veröffentlichungen gehört u.a. das Buch „China, drinnen vor der Tür“ (1980).

Als Kulturvermittler zwischen China und Deutschland hat Herr Kahn-Ackermann ein tiefes Verständnis vom akademischen und interkulturellen Austausch, das er auf der Veranstaltung in Peking zusammenfassend skizziert hat.

Erste Erfahrung: Das wirkliche China hatte mit dem China meiner Bücher und dem China meiner Vorstellung so gut wie nichts gemeinsam.

Die damalige deutsche Sinologie konzentrierte sich ausschließlich auf das „Klassische China“, das China nach 1949 kam darin nicht vor. Auf der anderen Seite gehöre ich zur Generation der Studentenbewegung von 1968, wir waren überzeugte Marxisten und wünschten uns Revolution, die „Große Proletarische Kulturrevolution“ war ein Vorbild. Das China in meiner Vorstellung war eine merkwürdige Mischung aus dem „Traum der Roten Kammer“ und revolutionärer Utopie.

Das China, dem ich mich nach Ankunft hier gegenübersah, war das China der Spätphase der Kulturrevolution. Das „Klassische China“ war ausgemerzt und das utopische China ließ sich nirgends blicken. Politisch und sozial war es eine extreme Epoche, der Tod Maos, das Tangshan Erdbeben, der Sturz der „Viererbande“, um nur einige Beispiele zu nennen. Doch erschienen mir die Atmosphäre und der Alltag dumpf und grau.

Um nur von unserem akademischen Leben zu sprechen: Unser Chinesisch-Lehrmaterial bestand wesentlich aus Leitartikeln der Volkszeitung, im Geschichts-Unterricht ging es um „Klassenkampf“, Bauernaufstände, „Kritik an Lin Biao und Konfuzius“ und den Kampf zwischen „Legalisten“ und „Konfuzianern“.

Direkten Kontakt hatten wir lediglich zu den Funktionären des Ausländer-Büros, den Lehrern, den Klassen-Kommilitonen und vor allem dem Zimmergenossen im Wohnheim. Ich danke ihnen für ihre Mühe und Fürsorge, sie hatten es nicht leicht mit uns. Niemand außerhalb dieses Kreises wagte es, mit uns in Kontakt zu treten.

Der einzige tatsächliche Kontakt zur chinesischen Wirklichkeit war die „Schule bei offener Tür“. Ich möchte hier vor allem der Bauernfamilie danken, bei der ich in diesen zwei Wochen untergebracht war. Sie hat mir nicht nur beigebracht, mit der Tragestange Mist-Kübel zu balancieren, sie hat mein Verständnis der chinesischen Gesellschaft mehr befördert als alle Leitartikel der Volkzeitung zusammen.

Dieser Zusammenstoß von Vorstellung und Wirklichkeit endete damals mit Enttäuschung und einer persönlichen Krise.

Zweite Erfahrung: Schuld an dieser Krise war nicht allein die fremde Kultur, das Problem war vor allem ich selbst.

Ich begann zu begreifen, dass meine mitgeschleppten Erwartungen, Phantasien und Vorurteile meinen Blick auf die fremde Kultur verzerrten, und den Prozess der Verstehens erschwerten. Um zum Verständnis zu gelangen, musste ich Vorurteile und Wunschträume aufgeben, musste lernen, der fremden Kultur mit einer Haltung des „Leerseins“ zu begegnen. China ist weder Utopie noch Hölle und zugleich um Vieles interessanter als es Utopien und Höllen sind.

Dritte Erfahrung: Üblicherweise betrachtet man Zuwachs an Spezialwissen und akademischen Fertigkeiten als Ziel des akademischen Austauschs. Unter diesem Gesichtspunkt war mein Studienaufenthalt nicht sehr ertragreich. Aber ich glaube, wichtiger noch als Zuwachs akademischen Wissens ist die direkte und vorurteilsfreie Konfrontation mit der fremden Kultur, und daraus resultierend, die Möglichkeit, sich selbst zu prüfen und in Frage zu stellen. Das ist ein schwieriger Prozess.

Vierte Erfahrung: Über vierzig Jahre sind vergangen, China hat sich grundlegend verändert. Ich lebe heute mit meiner chinesischen Frau in Nanjing, meine chinesischen Freunde haben keine Angst mehr davor, mich zu sich nach Hause einzuladen. Ich arbeite als Berater für das Konfuzius-Institut, eine chinesische Institution des internationalen kulturellen Austauschs und für die deutsche Stiftung Mercator, die den Austausch zwischen Jugendlichen unserer Länder fördert. Meine jüngste Tochter ist vor kurzem von Deutschland nach Peking zurückgekehrt, nicht um dem Vater näher zu sein und nicht, um mehr Geld zu verdienen, sondern weil sie Peking interessanter findet als Berlin.

Über vierzig Jahre sind vergangen, Noch immer bezeichnen mich gewisse China-Experten in Deutschland als „Chinesischen Schwiegersohn“. Das klingt freundlich, gemeint ist aber, dass ich zu den von der KPCH gehirngewaschenen oder bezahlten „China-Verstehern“ gehöre. In China werde ich bis an mein Lebensende ein „Lao wai“ bleiben, selbst zweijährige Kinder rufen bei meinem Anblick „Mama, guck mal, ein Ausländer“. Ich bin Besitzer einer chinesischen Greencard, das war nicht einfach und ich danke der chinesischen Regierung dafür. Aber im Alltag hat sie kaum Wirkung, beim Kauf von Zugtickets muss ich nach wie vor am Schalter anstehen.

Aus seinen Erfahrungen zieht er die Schlussfolgerung, dass der Austausch zwischen Kulturen ein mühseliger und zeitraubender Prozess sei und äußerste Geduld und Zähigkeit erfordere. „Er wird nur dann erfolgreich sein, wenn die Teilnehmer beider Seiten sich unbehindert direkten und vielfältigen Zugang zur anderen Kultur verschaffen können und wollen. Dafür muss die Politik die Voraussetzungen schaffen. Über 40 Jahre sind vergangen. Die Welt hat sich grundlegend geändert, aber wir stehen erst am Anfang, uns wirklich gegenseitig zu verstehen“, sagte Herr Ackermann. 

Mit der Eröffnung des hochrangigen deutsch-chinesischen Dialogs für den gesellschaftlich-kulturellen Austausch stehen Chinesen und Deutsche vor einer neuen Etappe des gegenseitigen Lernens und Verstehens. Beide Länder stehen für einen offenen Dialog. Die Bereitschaft, eine Fremdkultur ohne Stereotypen und Vorurteile zu betrachten, ist eine Voraussetzung für einen gelungenen gesellschaftlich-kulturellen Austausch. Darin ist Herr Kahn-Ackermann ein Beispiel für uns alle. Als Multiplikator in der Gesellschaft und in seiner eigenen Familie übt er positiven Einfluss auf andere in seinem Lebens- und Arbeitsmilieu, ja sogar über Generationen hinweg aus.

* Wir bedanken uns ganz herzlich bei Herrn Kahn-Ackermann für die Bereitstellung seines Redemanuskripts.

(Forschungszentrum für den deutsch-chinesischen gesellschaftlich-kulturellen Austausch der Shanghai International Studies University)

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