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Vom Abend bis zum Morgen


26 October 2018 | By Cai Tingyu | SISU

18.50 Uhr, 9. August 2018. Köln Hbf.

Mein Handy klingelte. Eine SMS von meiner Mutter. „Schon eingestiegen?“

„Noch nicht.“ Ich schaute auf den Bildschirm oben, auf dem die Ankunft und Abfahrt von meinem Zug angezeigt wurde und tippte schnell auf dem Handy, „aber in zehn Minuten.“

Ich legte das Handy in die Hosentasche zurück und schaute um mich. Neben meiner Freundin, mit der ich diese Reise unternommen habe, stand da noch ein Liebespaar. Sie küssten sich zärtlich und umarmten sich. Auf Gleis 2 stand der Zug zur Weiterfahrt nach München bereit und die Frau stieg ein. Der Mann presste sein Gesicht gegen das Fenster und starrte wie gebannt auf seine Geliebte. Der Zug begann langsam abzufahren und der Mann begann zu laufen, um den Zug, beziehungsweise seine Liebhaberin, so lang wie möglich sehen zu können.

Oh, Liebe! Das ist wirklich zu beneiden. Ich lächelte und nahm das Handy aus der Tasche. Noch fünf Minuten. Dann würde unser Zug kommen und noch am selben Abend würden wir in Bayreuth ankommen. Dann könnte ich auf meinem kleinen, aber gemütlichen Bett liegen und mich gut ausruhen.

Fünf Minuten waren ganz schnell vorbei, aber der Zug kam noch nicht. Dann hörte ich aus dem Lautsprecher: „ICE 203 wird 10 Minuten später kommen.“ „10 Minuten Verspätung. Das macht nichts“, sagte ich zu meiner Freundin und auch zu mir selbst.

Zehn Minuten vergingen, aber unser Zug war noch nicht da. Noch merkwürdiger war, dass der Zug ICE 203 plötzlich nicht mehr auf dem Bildschirm zu sehen war. Wo war der Zug eigentlich? Ist er schon weggefahren, als wir gerade unaufmerksam waren? Nein, ich wartete und passte doch auf jeden vorbeifahrenden Zug auf.

Was ist eigentlich passiert? Wir konnten nichts tun, als auf den verspäteten, nee, „verschwundenen“ Zug zu warten. Ich fragte eine Frau danach, leider hatte sie ebenfalls keine Ahnung davon, was mit unserem Zug passiert war. Wir schauten uns um, aber es gab keine DB-Mitarbeiter auf dem Gleis, an die wir uns wenden konnten.

Minute um Minute verging. Wir konnten nicht mehr einfach warten und nichts tun. Ich ließ meine Freundin auf dem Gleis warten, während ich hinunter zur Information lief. Dort bildeten die Wartenden schon lange Schlangen bis zum Eingang, die ganz langsam vorangingen. Wann würde ich dran sein? Mein Zug könnte doch jederzeit kommen und dann wegfahren!  

„Könnte ich Ihnen helfen?“, kam ein älterer Mitarbeiter auf mich zu.

Gottseidank! „Ja bitte! Mein Zug ICE 203 sollte um 19.00 Uhr kommen, aber bis jetzt ist er noch nicht da...und ich kann auf dem Schirm keine Informationen mehr darüber finden.“

„Der Zug wird mindestens noch eine Stunde Verspätung haben.“

„Was?“ Ich konnte meinen Ohren nicht glauben. „Aber so werde ich meine nächsten zwei Züge verpassen...“

„Entschuldigung... Wohin möchten Sie denn fahren?“

„Zurück nach Bayreuth.“ Ich versuchte, Ruhe zu bewahren.

Er recherchierte in seinem Handy und zeigte es mir dann: „Vielleicht können Sie diese Route nehmen und morgen früh können Sie Bayreuth erreichen. Für jede Route nach Bayreuth gilt Ihr Ticket und Sie bräuchten nicht umzutauschen.“

Ich bedankte mich bei ihm, ging entspannt hinauf und wartete geduldig auf dem Gleis. Erst nach eineinhalb Stunden kam ein Zug, kein ICE 203, aber ein Zug, der in unsere Fahrrichtung fuhr. Aufgeregt wollten wir einsteigen. Aber die Schaffnerin hielt uns an der Tür auf und verlangte das Ticket.

Wir erklärten ihr, was uns passiert war. Sie hörte zu, schüttelte aber ihren Kopf und sagte: „Entschuldigung, aber dieser Zug ist kein DB, sondern ein ÖBB. Sie müssen dafür noch vier Euro bezahlen.“

Bezahlen oder nicht bezahlen? Wir beide sahen uns an und zögerten einen Augenblick. Ehrlich gesagt, vier Euro waren nicht viel und damit würden wir uns das unendliche Warten ersparen. Wenn wir nicht bezahlten, mussten wir mindestens noch zwei Stunden warten, um nach Hause zu kommen.

„Nein, danke.“ Wir wandten uns um und gingen weg. Es ging wirklich nicht um vier Euro, sondern um das Fahrgastrecht. Wir litten unter der Verspätung und warum sollten wir für den Fehler vom DB bezahlen?  

Im Reisezentrum. Wir erklärten alles noch mal und bekamen die gültigen Tickets. Wir erhoben eine Reklamation. Dafür hatten wir lange mit dem DB-Mitarbeiter gesprochen und viele Formalitäten erledigt. Das war alles nicht einfach. Aber inzwischen hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass das Fahrgastrecht gar nicht unbedeutend war und man sein Recht wahren musste.

Nach zwei Stunden saßen wir endlich im Zug. Sobald ich Platz nahm, fühlte ich mich wie durch den Wolf gedreht. In den folgenden Stunden hatte ich nur das Gefühl der Erschöpfung.

Ich machte meine Augen auf. Die ersten Sonnenstrahlen schienen durchs Fenster. Ich schaute aufs Handy, um die genaue Uhrzeit zu erfahren. Eine Nachricht über die DB. Ich klickte darauf und begann zu lesen.

„Heftiges Unwetter in Deutschland: Die Deutsche Bahn hat ihren Zugverkehr in Norddeutschland aufgrund der Wetterlage weitestgehend eingestellt...“

„Nächste Station, Bayreuth Hbf.“ Es war 6.50 Uhr. Ich war in Bayreuth.

(Verfasserin: Germanistikstudentin des 4. Jahrgangs; Korrektur: C. H. Y. & C. A.)

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