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Gedanken zum Roman „Ohrfeige“


30 November 2018 | By Cai Tingyu | SISU

Ich schwöre bei Allah und allen Arschlöchern des Himmels: Irgendwann werde ich Sie erwischen und ohrfeigen.“

Seite 222. Ich klappte den Roman Ohrfeige von Abbas Khider zu, den ich an einem Tag von Anfang bis zum Ende fertiggelesen habe. 

Der Roman heißt Ohrfeige, aber das Wort „Ohrfeige“ kommt im ganzen Buch nur zweimal vor: einmal am Ende, wie das Zitat oben zeigt, und einmal ganz am Anfang:

Stumm und starr vor Angst hockt sie in ihrem Drehstuhl, als hätte die Ohrfeige sie betäubt. „Sie ruhig sind und bleiben still!“Ich greife nach dem Packband in meiner Jacketasche, fessle ihre Hände an die Armlehnen und die Fußgelenke an die Stuhlbeine. Mit mehreren Streifen klebe ich ihren rot geschminkten Mund zu. (Ohrfeige S. 9)

Der Roman beginnt damit, dass Karim, der Ich-Erzähler bzw. ein Asylbewerber, Frau Schulz, eine deutsche Sachbearbeiterin bei der Ausländerbehörde fesselt und ohrfeigt, um sie zu zwingen, ruhig zu bleiben und ihm zuzuhören, als er über seine Erfahrungen als irakischer Asylbewerber in Deutschland erzählt. Somit bildet das „Gespräch“ zwischen dem monologisierenden Asylbewerber und der „schweigenden“ Zuhörerin den äußeren Handlungsrahmen.

Vor der Lektüre stellte ich mir die Fragen: Was bedeutet „Ohrfeige“ eigentlich? Warum hat der Autor diesen Titel gewählt? Nach dem Lesen glaubte ich, dass der Titel eine vielschichtige Bedeutung hat. Ohne „Ohrfeige“ wäre es unmöglich, dass die Sachbearbeiterin schweigen würde und ihm „zuhört[e]“. In dieser Hinsicht ist die „Ohrfeige“ eine gewaltsame Zwangsmaßnahme. Außerdem zeigt die „Ohrfeige“ den Hass des Ich-Erzählers gegenüber der Ausländerbehörde, weil er wegen des Widerrufs der Asyl-Anerkennung nicht mehr in Deutschland bleiben darf. Da stößt er auf das Problem der Zugehörigkeit: „Was bedeutet es für mich, wenn ich weder in der Heimat noch in der Fremde leben darf?“ (Ohrfeige S. 19).

Das ist nämlich die Kernfrage des Romans: Was sollten und könnten die Flüchtlinge tun, wenn sie sich durch den Widerruf ihrer Asyl-Anerkennung nirgends zugehörig fühlen? Wer sollte dafür Verantwortung tragen? In diesem Roman wird das Alltagsleben eines Asylbewerbers in Deutschland beschrieben, um dem Leser einen Einblick zu gewähren, wie die Situation von Asylbewerbern in Deutschland ist und wie junge Iraker in den Jahren von 2000 bis 2002 in die Mühlen der deutschen Behörden geraten sind. 

Obwohl der Roman sich mit dem ernsthaften und tieftraurigen Thema beschäftigt, ist er voller Humor, zum Teil schwarzem Humor: „[...] dass wir uns alle wünschten, für eine kurze Zeit im Gefängnis zu landen, um dort schnell Deutsch zu lernen.“ (Ohrfeige S. 141). Das ist ein Grund dafür, dass es mir gelingt, so schnell ein Buch auf Deutsch fertig zu lesen.

Dann stellt sich noch eine Frage: Warum hat sich der Autor für diese humorvolle Erzählweise entschieden? Bei der Erzählung von tieftraurigen Erlebnissen und ernsthaften Themen, wie z.B. Fluchterfahrungen, Konzentrationslager, Gefängnis, würden viele Schriftsteller es so bitter darstellen, wie es tatsächlich war. Die sino-amerikanische Schriftstellerin Iris Chang hat beispielsweise in ihrem Buch Die Vergewaltigung von Nangjing (The Rape Of Nanking) schonungslos realistisch über die Gräueltaten in Nanjing im Zweiten Weltkrieg erzählt.

Um meine Frage nach der Erzählweise zu beantworten, habe ich ein Interview mit dem Autor Abbas Khider gelesen. Wegen politischer Aktivitäten gegen das Regime von Saddam Hussein war der Autor selbst im Irak gefangengenommen und gefoltert worden. Danach führte seine Flucht ihn durch verschiedene Länder, bis er endlich in Deutschland Asyl fand. Daraus lässt sich entnehmen, dass der Roman autobiographische Elemente hat. Durchs Schreiben verarbeitete er seine eigenen, zum großen Teil unangenehmen Fluchterfahrungen.  

Aber im Gegensatz zu vielen anderen Schriftstellern betrachtet Abbas das melancholische Thema mit Humor und Ironie. Er hat im Interview angemerkt, dass er seine Leser nicht foltern, sondern ihnen das alles auf humorvolle Art und Weise vermitteln möchte. Die Leser sollten nicht vor Grausamkeit erschrecken, sie sollten sich unterhalten, irgendwas mitnehmen und später darüber nachdenken können. Meiner Meinung nach bedeutet dieser humorvolle Erzählstil für ihn, dass man trotz Qualen in der Vergangenheit seine Fähigkeit nicht verlieren darf, optimistisch in die Zukunft zu schauen.

Während ich diesen Roman las und ihn zu interpretieren versuchte, hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass das Lesen in einer Fremdsprache und die literarische Interpretation auch ein großer Genuss sein könnten. Außerdem bietet mir der Roman eine neue Perspektive, das Problem von Flüchtlingen zu beobachten und zu analysieren. 

(Verfasserin: Germanistikstudentin des 4. Jahrgangs; Korrektur: C. H. Y. & G. O.)

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