Am 21. November 2023 hielt Prof. Dr. Yang Siping vom School of Chinese Studies and Exchange der Shanghai International Studies University (SISU) an der Germanistischen Fakultät einen Vortrag über die Entstehung von Rilkes Sachlichkeit und deren Einfluss auf moderne chinesische Gedichte.

Rainer Maria Rilke gilt mit seinen 18 Gedichtsammlungen und seiner umfangreichen Übersetzungsarbeit als einer der bedeutendsten Dichter der literarischen Moderne. Prof. Dr. Yang betonte in diesem Zusammenhang die Bedeutung von Rilkes Sachlichkeit, die sich insbesondere in seinen späten Werken Duineser Elegien und Die Sonette an Orpheus ausprägt.

Prof. Dr. Yang zufolge hat die vom Expressionismus entwickelte Sachlichkeit ähnliche Bedeutung wie die negative Fähigkeit (negative capability): Beides legt großen Wert auf Erfahrungen und verzichtet auf Gefühle.

Aber die frühen Werke Rilkes sind stark von unterschiedlichen literarischen Strömungen wie Neuromantik, Impressionismus und Symbolismus geprägt. Die Symbolik, die Musikalität der Verse und die Emanzipation der Sprache von der sprachlichen Logik des Alltags wurden dabei angestrebt. Während seines Aufenthaltes in Paris lernte Rilke den Bildhauer Auguste Rodin kennen und gelangte zu einer neuen poetischen Sicht der Dinge. In seinen Dinggedichten tritt der Ausdruck des Individuums zurück, während die Dinge selbst zur Sprache kommen. Prof. Dr. Yang wies darauf hin, dass Rilkes Verse nicht mehr „Gefühle“, sondern „Erfahrungen“ seien.

Neben dem Wandel der dichterischen Form ging Prof. Dr. Yang noch auf die wichtigen lyrischen Themen von Rilke ein. Das Hauptthema „Existenz/Dasein“ lässt sich in drei Unterthemen, nämlich „Mädchen“, „Leben und Tod“ und „Religion“ unterteilen. Die Sachlichkeit findet darin auch ihren Niederschlag.

Wie Prof. Dr. Yang meinte, übten Rilkes Werke maßgebliche Einflüsse auf die moderne chinesische Dichtung aus. Zu nennen sind prominente Dichter Feng Zhi und Li Kuixian.

Der Vortrag, der neue Perspektiven für die Interpretation von Rilkes Werken bot, wurde von Studierenden aus unterschiedlichen Fakultäten als aufschlussreich empfunden.

(Verfasserin: Masterstudentin der Germanistischen Fakultät)