9.00 Uhr

Heute ist der letzte Tag des Jahres 2018. Das Wetter ist nicht gut. Dunkel. Kalt. Nebelig. Dicht bedeckt. 

Mein Tag fängt erst um 9.00 Uhr an. Ich stehe auf, putze mir die Zähne, wasche mir das Gesicht und gehe in die Kochnische. Sowie an allen anderen Tagen der Ferien koche ich mein Frühstück mit den gleichen Zutaten — Müsli, Obst und Nüssen — und dann esse ich allein am Tisch.

Die Zimmer im Studentenwohnheim auf der Römerstraße sind beinahe leer. Studierende aus europäischen Ländern sind in ihre Heimatländer zurückgekehrt. Jetzt müssten sie schon bei ihren Familien zu Hause sein. Mit allen Familienmitgliedern verbringen sie eine fröhliche Zeit zusammen. Frohe Weihnachten haben sie schon hinter sich. Bald wünschen sie sich einen guten Rutsch ins neue Jahr. Die meisten internationalen Studenten sind jetzt auch weg. Manche sind in der Schweiz oder in Norwegen. Vielleicht ist es ihnen lieber, ein bisschen Sonne zu genießen, vielleicht in Italien oder Spanien. Oder sie lernen Deutschland kennen, vielleicht Berlin oder München. Weiß nicht. Noch ein paar internationale Studenten bleiben in Heidelberg. Zum Beispiel … ich. Bin ich die einzige im ganzen Gebäude? 

10.00 Uhr

Tik Tak Tik Tak. Um 10.00 Uhr erwacht die Stadt. Die Hauptstraße wird lebhaft. Einwohner und Touristen strömen in die Läden, krempeln ihre Ärmel hoch und machen die letzten Einkäufe des Jahres. Ich gehe zur Postbank mit dem Neujahrsgeschenk, das ich für meine Mitbewohnerin gekauft habe. „Ich wünsche dir ein frohes neues Jahr und glückliche Zeit mit deiner Familie und deinen Freunden“, so schreibe ich auf die Karte. Ich kaufe eine Briefmarke am Automaten und lege das Paket in die Mailbox.  

14.00 Uhr

Ich wandle auf der Hauptstraße, von einem Ende bis zum anderen. Die Regale in den meisten Läden sind schon leer. Um 14.oo Uhr schließen alle Läden. Vor einer Tür steht eine Verkäuferin. Sie hält die Kunden an, die noch etwas kaufen möchten. „Wir schließen zu.“ Sie klingt fröhlich. Ihre Freude auf den kommenden Feierabend kann sie gar nicht verbergen. 

Mit einem stark reduzierten H&M-Kleid, zwei Rollen Küchentüchern, einer Flasche Bailey und meinem Happy-Meal von McDonald steige ich in die Straßenbahn zum Wohnheim ein. 

17.00 Uhr

Um fünf Uhr abends ist der Himmel völlig dunkel. Es ist Mitternacht in China. Meine Mitstudenten und ich wünschen in unseren WeChat-Gruppen einander ein frohes Neujahr und teilen „rote Umschläge“ per WeChat. Ich unterhalte mich ein wenig mit meinen chinesischen Freunden auf der anderen Seite der Erde. Wir sind glücklich und vermissen einander sehr. 

Nach dem Chatten und Telefonieren ist es wieder ruhig. Meine Freunde gehen schlafen. Ich liege im Bett, kann leider nicht so früh um fünf einschlafen. Ich muss zugeben, dass ich mich ein bisschen einsam fühle. So geht meine Silvesterfeier zu Ende. 

18.00 Uhr

„Peng!“ Draußen plumpst etwas. Zuerst sind es noch einzelne Töne, aber dann werden sie immer lauter und folgen dicht aufeinander. Was ist denn los? Ich kann meine Neugier nicht mehr unterdrücken. Ich verlasse mein liebes Bett, öffne das Fenster und gucke mal nach draußen. 

Feuerwerke! Im Kleingarten des Wohnbezirks zündet eine Gruppe von Studenten Feuerwerke an! Die Feuerwerke aus verschiedenen Farben beleuchten den Nachthimmel über dem Studentenwohnheim. Rot, grün, gold, silbrig … Neue Varianten von Licht- und Geräuscheffekten, die ich vorher noch nie gesehen habe! Der dunkle Himmel wird auf einmal glänzend schön. Die Nacht ist auch nicht mehr so kalt. Für mich ist das Feuerwerk eine Überraschung. Seit der Einführung vom Feuerwerk-Verbot in Shanghai habe ich schon zwei Jahre kein Feuerwerk mehr gesehen! Trotz der Verbesserung der Luftqualität habe ich immer das Gefühl, dass zum Neujahr in Shanghai etwas fehlt. Aber Feuerwerk! Hier in Heidelberg! Hier feiert man mit Feuerwerk! Ich bin sehr begeistert. 

Eine Studentin sieht mich. „Hey!“ Sie winkt mit ihrem Arm und ruft laut. „Guten Rutsch ins neue Jahr!“ „Danke! Dir auch! Ein frohes neues Jahr“, antworte ich. Das Feuerwerk ist laut, aber sie hört mich und lächelt zurück. Viele Studenten, die in diesen Ferien in ihren eigenen vier Wänden bleiben, öffnen auch ihre Fenster, um die anderen zu begrüßen. In Begleitung von Feuerwerken wünschen wir einander ein gutes neues Jahr.

Dienstag, 01. 01. 2019

01.00 Uhr

Mit Feuerwerken, Knallkörpern und Geläute rutschen wir ins Neujahr. Erst gegen eins wird das Feuerwerk allmählich leiser. Im Studentenwohnheim ist es wieder ruhig. Die Nacht ist tief und kalt, aber in meinem kleinen Zimmer ist es hell und warm. Ich mache das Licht aus und gehe ins Bett. Ich kann bestimmt von etwas Schönem träumen… Ich würde vom bunten Himmel träumen. Und wenn der Himmel bunt wird, fühle ich mich nicht mehr einsam. 

(Verfasserin: Germanistikstudentin des 3. Jahrgangs und gegenwärtig als Austauschstudentin an der Universität Heidelberg; Korrektur: C. H. Y. & G. O.)