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Interview mit der deutsch-chinesischen Schriftstellerin Luo Lingyuan


12 October 2016 | By Bai Shaojie | SISU

Luo Lingyuan, geboren im Jahr 1963, ist eine deutsch-chinesische Schriftstellerin. Sie hat Journalismus und Computerwissenschaften in Shanghai studiert. Seit 1990 lebt sie in Berlin. Seit 1992 veröffentlicht sie auf Deutsch und Chinesisch. Bisher sind vier Romane, zwei Erzählungssammlungen und verschiedene Beiträge in Zeitschriften erschienen.

Im Jahr 2007 wurde sie für ihren Erzählungsband „Du fliegst für meinen Sohn aus dem fünften Stock“ mit einem Förderpreis zum Adelbert-von-Chamisso-Preis ausgezeichnet.

Dank Herrn Professor Aurnhammers Unterstützung hatte die Verfasserin, Masterstudentin der Germanistischen Fakultät der SISU Ende August Gelegenheit, mit der deutsch-chinesischen Schriftstellerin Luo Lingyuan zu sprechen. Frau Luo zeigte großes Entgegenkommen und beantwortete die Fragen aufrichtig und geduldig. Das Folgende ist eine Kurzfassung des Gesprächs.

 

Bai Shaojie: Warum sind Sie nach Deutschland gekommen und was hat Sie zu diesem Entschluss gebracht?

Luo Lingyuan: Ich muss eigentlich sagen, dass es nur ein Zufall war. Während des Studiums an der Fudan-Universität habe ich einen deutschen Sinologiestudenten kennen gelernt. Dadurch hat sich mein ganzes Leben verändert. Wir waren verliebt und haben beschlossen, nach meinem Studium zu heiraten. Und so habe ich Deutsch gelernt - um der Liebe willen. Eigentlich interessierte ich mich mehr für die französische Literatur. Ich hatte sogar ein halbes Jahr Französisch gelernt. Aber dann sind wir nach Deutschland gegangen. Als ich nach Berlin kam, konnte ich nur sehr wenig Deutsch. Mein Mann sprach fließend Chinesisch, und in China haben wir nur Chinesisch miteinander gesprochen. Nach der Heirat wollte ich in Berlin Arbeit finden, aber das war für mich sehr schwer, weil ich kaum Deutsch konnte. Ich habe als Zimmermädchen in einem Hotel und auch als Verkäuferin in einem Kaufhaus gearbeitet. Gleichzeitig habe ich Deutsch gelernt. Nach einiger Zeit war mein Deutsch so gut, dass ich als Reiseleiterin arbeiten konnte.

 

Bai Shaojie: Wann haben Sie mit dem Schreiben begonnen?

Luo Lingyuan: Ich habe 2002 angefangen, regelmäßig auf Deutsch zu schreiben. Das Literarische Kolloquium Berlin ist auf mich aufmerksam geworden und hat mich gefördert.  Vorher habe ich ein paar Artikel in China veröffentlicht. Am Anfang waren es nur kurze Prosastücke und Berichte, aber bald auch Erzählungen und Romane. Ich habe viele Umwege gemacht und unterschiedliche Dinge probiert, bis ich den Beruf gefunden habe, von dem ich geträumt habe. Mein erstes Buch wurde 2005 veröffentlicht. Aber das Leben als freie Schriftstellerin ist nicht einfach. Ich kenne viele deutsche Autoren, die von der Hand in den Mund leben und sich immer wieder vergeblich um Stipendien oder Verlagsverträge bemühen. Vom Schreiben allein können nur die wenigsten leben. Ich muss auch alle möglichen Brotarbeiten machen, um Schriftstellerin bleiben zu können.

 

Bai Shaojie: Warum haben Sie diesen Beruf gewählt?

Luo Lingyuan: Ich habe von klein auf gern gelesen. Die berühmten Werke der chinesischen Literatur habe ich immer bewundert und insgeheim habe ich immer selbst schreiben wollen. Obwohl ich an der Jiaotong-Universität Computerwissenschaften studierte, hatte ich nur wenig Interesse daran. Ich habe weiter gemacht, weil es „vernünftig“ war. Nach dem Abschluss wurde mir eine Arbeit als Computerdozentin an der Jiangxi-Universität zugewiesen, das habe ich auch zwei Jahre gemacht. Dann habe ich mich entschlossen, Journalismus zu studieren, weil ich einen Brotberuf suchte, der sich mit dem literarischen Schreiben vereinbaren ließ. Ich wusste wohldamals schon, dass man als Schriftstellerin immer am Rande des Existenzminimums lebt. Aber dann habe ich noch während dieses Studiums meinen ersten Mann getroffen, und das hat meine Pläne völlig geändert. Ich habe eine neue Sprache gelernt, und erst nach elf Jahren wurde ich Journalistin. Ich konnte sowohl auf Deutsch als auch auf Chinesisch Berichte schreiben.

 

Bai Shaojie: Viele Migrationsschriftsteller schreiben auf Chinesisch. Warum schreiben Sie auf Deutsch?

Luo Lingyuan: Nun, Gao Xingjian schreibt auf Französisch, Ha Jin und viele andere chinesische Autoren schreiben auf Englisch. Wer in der Sprache seines Gastlandes schreibt, kann ein viel direkteres Bild seiner Heimat vermitteln.  Natürlich habe ich in Deutschland auch viele Bücher über China gelesen. Und jedes Mal habe ich festgestellt, dass die Dinge irgendwie merkwürdig dargestellt wurden. Das China, das ich kannte, war anders als das in den Büchern. So kam ich auf die Idee, den Deutschen in ihrer Sprache von meinem Land zu erzählen. Und ich hoffe, dass die Deutschen China und seine Menschen so besser kennen lernen.

 

Bai Shaojie: Wie haben Sie die Themen für Ihre Bücher gewählt?

Luo Lingyuan: Das ist schwer zu sagen. Ich schreibe, was ich gern schreiben möchte. Wenn ich lange Zeit immer an eine Sache denke, dann schreibe ich darüber. Aber meine Themen kommen oft auch aus meiner Umgebung. Die Leute stellen mir Fragen über die Menschen in China. Und dann versuche ich Antwort zu geben mit meinen Büchern.

 

Bai Shaojie: Ich habe gemerkt, dass Sie sehr viel über China geschrieben haben, aber nicht viel über Deutschland, warum?

Luo Lingyuan: Als ich hierher kam, war ich schon 26. Ich habe meine Kindheit und Jugend in China verbracht, und chinesische Kultur und meine Familie haben mich tief beeinflusst. Für eine Geschichte braucht man Personen, sie sind der Ausgangspunkt allen Erzählens. Und es ist für mich einfacher, einen Chinesen zu verstehen und zu gestalten. Aber das ist nur eine Frage der Zeit. Vielleicht werde ich bald mehr über Deutschland schreiben.

 

Bai Shaojie: Wie behandeln Sie die Beziehung zwischen Realität und Imagination während des Schreibens?

Luo Lingyuan: Ausgangspunkt ist immer die Realität, oft sogar ein konkreter Fall. Aber ich sehe die Realität natürlich auch kritisch. Ich versuche, das Wesen der Figuren herauszuarbeiten, auf Grund dessen, was sie denken, sagen und tun. Erst in diesem Stadium setzt dann die Vorstellungskraft ein. Ich stelle mir die Frage: Was würde die Person in dieser oder jener Situation tun? Da löst sich dann die literarische Gestalt von ihrem Vorbild im realen Leben und mischt sich mit anderen.

 

Bai Shaojie: Sie haben in vielen Werken die Stadt Ningbo erwähnt. Haben Sie einen besonderen Bezug zu Ningbo?

Luo Lingyuan: Nein. Ningbo ist ein Symbol für die schnelle wirtschaftliche Entwicklung in China. Die Stadt hat ein größeres Bedürfnis nach Zusammenarbeit und Austausch mit der Außenwelt als andere Städte, ist im Ausland aber nicht so bekannt wie zum Beispiel Shanghai. Allein ich habe mindestens schon zwei Delegationen aus Ningbo durch Europa geführt und die Menschen aus der Stadt kennen gelernt. Die meisten Deutschen kennen vor allem Shanghai. Die Stadt ist inzwischen fast schon ein Klischee, und viele Deutsche glauben, außer ein paar Wolkenkratzern in Pudong hätte China nicht viel zu bieten. Ich habe sieben Jahre in Shanghai gelebt und bin dort sehr glücklich gewesen, aber ich möchte meinen Leserinnen und Lesern zeigen, dass es auch noch andere Städte in China gibt. Wenn ich irgendwann über Shanghai schreibe, wird das etwas ganz Besonderes.

 

Bai Shaojie: Sie haben bis jetzt schon 26 Jahre in Deutschland gelebt, welche Einstellungen haben Sie jetzt zu China und zu Deutschland?

Luo Lingyuan: Im Inneren bin ich immer Chinesin. Das wird sich wohl auch nie ändern. Die Fülle der chinesischen Kultur mit ihren lebendigen Traditionen, ihren tiefen Gedanken, ihrer Musik und den berühmten literarischen Vorbildern hat immer noch großen Einfluss auf mich. Dieser Einfluss ist sehr eindringlich und lässt sich nicht abschütteln. Ich möchte mich auch nicht davon trennen. Andererseits habe ich auch viel von den Deutschen angenommen, z.B. die Gewissenhaftigkeit. Als ich mit dem Schreiben anfing, hat mich mein Mann einmal gefragt, wie es möglich war, dass ich einen Fehler dreimal gemacht hatte. Da hatte ich ein unangenehmes Gefühl und erkannte, dass ich früher nicht so sorgfältig gewesen war und keinen so großen Wert auf Genauigkeit gelegt hatte. Danach wurde mir klar, dass ich unbedingt sorgfältiger werden musste. Die Deutschen sind sehr gewissenhaft und streben bei allem, was sie tun, nach der Perfektion.

 

Bai Shaojie: Welche Erlebnisse sind Ihnen nach all den Jahren besonders in Erinnerung geblieben? Welche Vorschläge haben Sie für Ihre Landsleute, die vorhaben, nach Deutschland zu kommen?

Luo Lingyuan: Vor allem würde ich empfehlen, Deutsch zu lernen. Wenn man kein Deutsch kann, ist es sehr schwer, sich mit den Deutschen auszutauschen. Der kulturelle Unterschied zwischen beiden Ländern ist sehr groß. Schon ein gemeinsames Thema zu finden ist nicht ganz einfach, weil die Mehrzahl der Deutschen noch nie in China war und auch nur wenig über China weiß. Andererseits beobachte ich, dass es ein großes Interesse an China besteht. Wer China einmal gesehen hat, ist fasziniert.

 

Bai Shaojie: Wenn ein Chinese in Deutschland lebt, hat er normalerweise viele Probleme mit der Sprache. Aber warum haben Sie die Sprachprobleme Ihrer Figuren nicht thematisiert?

Luo Lingyuan: Das hat mich nicht allzu sehr interessiert. Die Figuren sollen ihren eigenen Charakter haben. Ich möchte ihre innere Welt darstellen und nicht jedes Stottern zeigen. Wo es sich bietet, habe ich aber schon auf die Sprachprobleme hingewiesen. Zum Beispiel bei den Missverständnissen, die zwischen Robert und dem Toilettenmann in Guangzhou im Roman „Wie eine Chinesin schwanger wird“ entstehen.

 

Bai Shaojie: Ich finde, Ihre Werke gehören sowohl zu der Migrationsliteratur als auch zu der Frauenliteratur. Frauen spielen eine wichtige Rolle in Ihren Werken. Was meinen Sie dazu?

Luo Lingyuan: Das stimmt. Das hat mit mir selbst zu tun. Ich bin eine Frau und kann Frauen besser verstehen. Ich fühle mich sicherer, wenn ich eine Frau darstelle. Außerdem finde ich Frauen großartig. Auch dort, wo scheinbar ein Mann im Mittelpunkt steht, wie z.B. in den „Sternen von Shenzhen“, sind es letztlich die sehr verschiedenen Frauen in seiner Umgebung, die das Geschehen bestimmen.

 

Bai Shaojie: Ich habe gemerkt, dass viele Liebesgeschichten zwischen deutschen Männern und Chinesinnen in Ihren Werken ein tragisches Ende haben. Stimmt das?

Luo Lingyuan: Die Frauen haben es nicht leicht mit den deutschen Männern. Es wird ihnen viel zugemutet und viel von ihnen verlangt. Aber meistens werden sie gut damit fertig, und es gibt doch noch ein Happy-end.

 

Bai Shaojie: Viele Geschichten haben ein offenes Ende. Wollten Sie damit sagen, dass man das Schicksal hinnehmen soll und nichts dagegen tun kann?

Luo Lingyuan: Jedes Buch hat seinen eigenen Stil. Aber es stimmt, ich ziehe das „offene Ende“ vor. Das Leben geht weiter, auch nach dem Ende eines Romans, und solange das Leben weitergeht, gibt es auch Hoffnung. In der Realität sieht es genau so aus. Es gibt vielleicht die Möglichkeit, einen „Traummann“ zu finden. Aber wenn wir ihn nicht finden, gibt es auch andere Wege. Man muss für ein besseres Leben kämpfen.

 

Bai Shaojie: Kennen Sie andere chinesische Schriftsteller, die auch auf Deutsch schreiben?

Luo Lingyuan: Ich weiß von einem Professor in Hamburg, Herrn Guan Yuqian. Wegen der Kulturrevolution ist er nach Ägypten geflohen und schließlich in Deutschland gelandet. Er hat in Hamburg promoviert und war dann dreißig Jahre Professor an der Universität Hamburg, wo er zahlreiche Bücher geschrieben hat. Am bekanntesten ist seine Autobiographie „Mein Leben unter zwei Himmeln“.

 

Bai Shaojie: Arbeiten Sie zurzeit an einem neuen Werk?

Luo Lingyuan: Ja. Ich werde nie aufhören zu schreiben.

 

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